Rezension zu „Die 50 besten Sexschulen“ von Yella A. Cremer
Ralf Buchty
(4-Sterne von 5) „Sexschulen“ ist ein recht eng gefasster Begriff. Dementsprechend habe ich das Buch zur Hand genommen. Im Nachhinein gesehen ist die etwas weniger eingängige Umschreibung „Schulen für Sexualität“ treffender. Dabei ist Sexualität im weitesten Sinne zu verstehen (Achtsamkeit, Bewusstheit, Sinnlichkeit, Erotik, Sex, selbstbezogen, partnerbezogen, weiblich, männlich). Der verwendete Titel scheint somit der Absatzförderung geschuldet und erweckt aus meiner Sicht leider einen etwas falschen Eindruck.
Der Inhalt ist aber alles andere als „reißerisch“. Sachlich und engagiert beschreibt Yella Cremer die vertretenen Ideologien und Ansätze der einzelnen Institutionen, Lehrer und Lehrmaterialien. Hilfreich ist ihre anschauliche Einteilung hierzu. In einer Übersichts-Mindmap wird unterschieden in die Bereiche „spirituell“, „humanistisch“, „Pick-up“, „erotisch-explizit“ und Schulen aus dem „Fetischbereich“.
Wenig verwunderlich ist, dass etwa 50 % der beschriebenen Schulen dem tantrischen Lager zuzuordnen sind. War Yella A. Cremer doch seit vielen Jahren vornehmlich als Tantralehrerin unterwegs. Seit über einem Jahr führt sie ihre Liebesschule „LoveBase“. Für Leserinnen und Leser, die einem „spirituellen“ Überbau abgeneigt gegenüberstehen, ist der „Sexschulen“-Führer nicht ganz so wertvoll. Die Auswahl der vorgestellten Adressen reduziert sich deutlich. Dennoch lohnt sich der Blick in die einzelnen Beschreibungen, da die Autorin die gewünschte differenzierte Sichtweise auch auf den jeweils nicht übersinnlichen Gewinn einfließen lässt. Tantriker finden in dieser Abteilung großartige Angebote, die ich nach meinem Kenntnisstand weitestgehend bestätigen kann.
Da die Zusammenstellung der Schulen aus den Erfahrungen und Neigungen der Autorin hergeleitet ist, kann hier und da etwas bemängelt werden. So z.B., dass ein so wichtiger Sexualtherapeut wie Jack Morin (Erotische Intelligenz, leider nur noch antiquarisch zu beziehen) unerwähnt bleibt. Die Autoren David Schnarch (Psychologie der Sexuellen Leidenschaft) und Ulrich Clement (Guter Sex trotz Liebe) sind weniger explizit sexuell als Morin. Oder, dass Alexander Lowen in der Abteilung Neotantra gelistet ist. Lowen war kein Tantriker. Seine Lehren zur Bioenergetik haben aber Einfluss im Neotantra gefunden. Informativ sind die Hinweise aber allemal.
Die Beleuchtung der Pick-up-Subkultur (Kunst der Beziehungsanbahnung) ist erfreulich. Hierbei handelt es sich offensichtlich um eine Bereicherung der Lernmöglichkeiten, auch wenn der Szene der Ruf von „Aufreißen nach Anleitung“ vorauseilt. Frau Cremer findet die passenden relativierenden Worte.
Insgesamt handelt es sich bei diesem Buch um eine reiche Ansammlung von Informationen, die durch viele Internetverweise, empfohlene Buchtitel und Videotitel im deutsch-englischen Sprachraum sinnvoll ergänzt und aufgewertet werden. Lediglich wegen der Titelwahl und einiger kleiner „Schönheitsfehler“ gibt es aus meiner Sicht einen Punktabzug. Das Buch ist für Einsteiger absolut empfehlenswert und für Erfahrene eine Quelle weiterer Informationen.